„Auf dem rechten Auge blind“ | Cine Days #15
23. Januar um 18:00 – 22:00 CET
Kurzfilmprogramm kuratiert von Florian Wüst (Berlin)
„Bei uns jibt’s jetzt endlich wieder Nazis. Prost!,“ lässt Manja Präkels Ich-Erzählerin Mimi ihren Freund Zottel in Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß anmerken. Der autobiografisch geprägte Roman dokumentiert auf eindrückliche Weise das lange Verschwinden der DDR, beschreibt, wie sich in einer brandenburgischen Kleinstadt der Hass gegen alle, die anders aussehen, sukzessive Bahn bricht. Die ersten Höhepunkte der bis heute andauernden Geschichte rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland bildeten die Angriffe gegen Asylunterkünfte und Wohnheime ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter:innen in Hoyerswerda vom September 1991 und in Rostock-Lichtenhagen vom August 1992. In beiden Fällen schritt die Polizei nicht ein. Die strukturelle Blindheit der staatlichen Institutionen gegenüber Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist jedoch älter als die deutsche Einheit. Sie speist sich nicht zuletzt aus einer positiven Haltung zum Nationalsozialismus, welche nach 1945 vor allem im Westen nie ganz verschwand. Auf dem rechten Auge blind zeigt vier dokumentarisch-künstlerische Kurzfilme, die die tieferen Ebenen der Verbrechen – vom Rostocker Pogrom über die Nürnberger NSU-Morde bis zum Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München vom Juli 2016 – reflektieren und der Allgegenwart intersektionaler Erfahrungen und nationaler Zuschreibungen die Möglichkeit, starre Denkmuster aufzubrechen, entgegensetzen.
Auf dem rechten Auge blind wurde ursprünglich für die Programmreihe Labor der Gegenwart: Deutschland des 39. Kurzfilm Festivals Hamburg 2023 zusammengestellt.
Programm
„Die Farbe Braun“
Friederike Anders | DE 1994, Dauer: 32’30, english subtitles
Die Farbe Braun zeigt Ansichten und Verlautbarungen aus dem Inneren Deutschlands, filtriert und kondensiert aus TV und Heimvideo der Jahre 1992 bis 1994. Zuweilen verträumt und sonnig: schwarzbraun ist die Haselnuss und unser Rauhaardackel. Goldene Tage der Kindheit. Oder markerschütternd: die somnambulen Reden des verflossenen Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern, die haarsträubenden Ausflüchte seines Polizeidirektors, die schrillen Sprüche der Anwohner*innen. Nach und nach immer engere Kreise ziehend um das gemeinsame (Sicherheits-)Thema: die Scheiße. Wo wurde Hitler geboren, wo wurde er zum Deutschen und wen heiratete er? Welches Abführmittel ist eigentlich ein Gewehrreinigungsöl? Was geschah wirklich am 24. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen?
Zusammen mit Der Obertan von Rainer Grams und Er hat ’ne Glatze und ist ein Rassist, er ist schwul und ein Rassist von Jürgen Brüning premierte Die Farbe Braun unter dem Titel Pfui – Unzucht und Ordnung in Deutschland im 25. Internationalen Forum des Jungen Films 1995.
„Zoran“
Züli Aladağ | DE 1997, Dauer: 17’00, english subtitles
Während seines Regiestudiums an der Kunsthochschule für Medien in Köln drehte Züli Aladağ den dokumentarischen Kurzfilm Zoran: ein Film über einen jungen Filmemacher serbischer Abstammung und sein Verhältnis zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Zoran war und ist kein Extremist. Er ist gebildet, offen, ein Schwabe, ein Deutscher, ein Kosmopolit. Doch der Krieg hat ihn auf besondere Weise mit dem Thema Identität konfrontiert … und Spuren hinterlassen. Vielleicht ist er heute ein wenig mehr Serbe als vorher. “Zoran, das ist ein starkes Stück. Ein gnadenloser Zapping-Film, weil alles, was hier verhandelt wird, über die Medienflut vermittelt ist: Zeitung, Radio, Fernsehen, Musikvideo, Sprache. Und das Wunderbare: Zoran macht uns Hoffnung, dass man dem standhalten kann, wachen Bewusstseins, temperamentvoll, mit einem wahrhaft angemessenen Humor.” (Werner Dütsch)
„Tiefenschärfe“
Mareike Bernien und Alex Gerbaulet | DE 2017, Dauer: 14’30, english subtitles
Ein Blumenstand, eine Schneiderei, ein Imbisswagen: drei Orte in Nürnberg, die zu Tatorten wurden, als der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zwischen 2000 und 2005 drei Morde an Geschäftsinhabern mit Migrationshintergrund verübte. Tiefenschärfe setzt das Bodenlose der rassistisch motivierten Taten ins Bild; die Achse der Kamera gerät immer wieder aus dem Lot. Der Off-Kommentar verknüpft Alltagsbeobachtungen und -begegnungen mit Informationsfragmenten aus den Medien sowie aus den Mordermittlungen, welche sich bis zur Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 ausschließlich gegen die Mordopfer und deren Familien richteten. Die Umstände der Taten sind weiterhin ungeklärt.
„This Makes Me Want to Predict the Past“
Cana Bilir-Meier | DE/AT 2019, Dauer: 16’, german subtitles
Cana Bilir-Meiers auf Super 8 gedrehter Film porträtiert eine Gruppe Jugendlicher mit Migrationsgeschichte im Olympia-Einkaufszentrum in München, wo am 22. Juli 2016 bei einem rassistischen Anschlag neun junge Menschen ermordet wurden. Neben ihren alltäglichen Erkundungen stellen die Jugendlichen Szenen aus dem Theaterstück Düşler Ülkesi(Land der Träume) nach. Die Premiere des Stücks im Jahr 1982 wurde von einer Bombendrohung überschattet. Der im Filmtitel angelegte Widerspruch, die Vergangenheit vorhersagen zu wollen, ist ein Verweis auf die kontinuierliche Erfahrung von Rassismus, lässt sich aber auch als eine spielerische Anregung lesen, aus gewohnten Strukturen auszubrechen – im Film vermittelt durch YouTube-Kommentare zu Childish Gambinos Song Redbone.
Kooperationen:
Kunstuniversität Linz, Abteilung Zeitbasierte Medien & Abteilung Ästhetik und Pragmatik audiovisueller Medien und das Moviemento & City Kino
Still: „This Makes Me Want to Predict the Past“ Cana Bilir-Meier